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Schuljahr 2022-2023


Lichtschwerter und 10cm Glitzer High Heels: Ist das überhaupt „richtiges“ Theater?

Im Rahmen eines Besuchs der "Katakombe" in Frankfurt durch die Deutschkurse (Q1) haben Pauline Reitz und Emil Oester eine Kritik zur Inszenierung des Stücks "Sandmann" (E.T.A. Hoffmann) verfasst.

 

 

Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann gilt als Paradebeispiel der schwarzen Romantik, aber inwiefern kann ein modernes Theaterstück diesen hohen Anforderungen gerecht werden?

E.T.A. Hoffmann erzählt in seinem Nachtstück über den Studenten Nathanael, und dessen Verfall in den Wahnsinn. Besonderer Wert wird auf die Bedeutung von Kindheitstrauma für die spätere psychologische Entwicklung gelegt. Ebenfalls wird die meist oberflächliche Reaktion der aufklärerischen Gesellschaft auf psychisch Kranke kritisiert.

Mit dessen erstmaliger Veröffentlichung im Jahr 1816, fand das nun für die Schauerromantik elementare Werk, erstmals wenig Resonanz bei den damaligen Lesern. Namenhafte Autoren wie Goethe, Ludwig Tieck und Walter Scott kritisierten es stark. Vor allem der Artikel „On the Supernatural in Ficticious Composition; and Particulary on the Works of Ernest Theodore William Hoffman“, welcher von Walter Scott verfasst und von Goethe ins Deutsche übersetzt und verbreitet wurde, hatte verheerende Folgen für Hoffmanns Ruf und das Medium der Nachtstücke. Der Sandmann steht als einzelne Ausnahme und konnte sich trotz der negativen Rezeption durch seine tiefgehenden psychologischen Aspekte und gesellschaftliche Kritik durchsetzen.

Besonders der Aspekt des Wahnsinns wurde später noch in dem psychoanalytischen Werk „Über das Unheimliche“ von Siegmund Freud in 1919 aufgegriffen und erhielt dadurch wieder weitläufige Aufmerksamkeit.

Heute gilt das Werk als eines der besten von Hoffmann und hilft uns, einen besseren Einblick in die Werte der damaligen Gesellschaft zu erlangen.

Ein Werk mit solch hohen Anforderungen bringt natürlich viele Herausforderungen für Umsetzung zum Bühnenstück mit sich. Sollte die Aufführung nah am Originalwerk gehalten werden, oder lieber etwas modernisiert werden, um auch noch Anschluss für die heutigen Generationen zu bieten?

Die Katakombe Frankfurt entschied sich hierbei für letzteres.

Während der Dialog vom Stil näher an der Lektüre lag, wurden die Bühnenbilder und Szenen modernisiert, was dem Stück einen gewissen Kontrast unterlegte. Die Rezeption dieser Entscheidung war bei den Zuschauern jedoch zwiegespalten. Während einige mit der Umsetzung sehr zufrieden waren, war ein Großteil durch die Abweichung vom Original enttäuscht und gingen so weit, einige Szenen als “Fiebertraum” zu beschreiben. Es stellt sich die Frage: Ist das überhaupt „richtiges” Theater?

Wir sind der Meinung, dass vor allem in einem Stück wie diesem, die subjektive Wahrnehmung des Zuschauers von höherer Wichtigkeit ist, als eine originalgetreue Nachstellung eines Werkes. Ein zentrales Thema der Lektüre ist die Wahrnehmung der Realität, und wie diese durch verschiedene Faktoren gestört werden kann. Der Einfluss der Moderne versucht hier die Situation Nathanaels noch näher an den Zuschauer zu bringen, um somit ein Hineindenken in die Umstände und den Wahnsinn zu erlauben.

Genau wie mit der Grenze zwischen Realität und Vorstellung, wird durch diese Art der Umsetzung die Grenze zwischen Moderne und Altertümlichen konstant verwischt.

Gleichzeitig muss jedoch gesagt sein, dass diese Umsetzung nicht an allen Stellen passend war. Vor allem die Duell Szene zwischen Nathanael und Lothar, welche hier als „Star Wars Kampf” mit Lichtschwertern dargestellt wurde, war zwar humorvoll und schauspielerisch gut umgesetzt, passte jedoch nicht zu der Atmosphäre des Stückes.

Ebenfalls erschien häufig der Kritikpunkt, dass die finalen Szenen des Stückes, im Vergleich zur restlichen Aufführung, extrem schnell abgehandelt wurden. Im Kontext des Werkes zeigt dies vielmehr jedoch den rapiden Verfall von Nathanaels Psyche gegen Ende der Lektüre.

Ein definitiver Pluspunkt für die Umsetzung ist das Licht, und wie dieses verwendet wurde, um die Gefühlswelt von Nathanael besser widerzuspiegeln. Vor allem Szenen, bei denen durch clever positionierte Lichter, die Gesichter von Charakteren, welche direkt nebeneinanderstanden, komplett unterschiedlich beleuchtet wurden, blieben hier im Gedächtnis. Es wurde hauptsächlich mit Farben wie Rot, Lila, Grün und Blau gearbeitet, welche alle unterschiedlichen Emotionen und Gefühle repräsentierten. Der Übergang zwischen “normaler” und dieser farbigen Beleuchtung verdeutlichte ebenfalls den Umschwung zwischen Realität und Vorstellung, und half dabei, einige Szenen im Werk aus einer anderen Perspektive zu betrachten und besser zu verstehen.

Ein weiterer Punkt, welcher oft in unserer Diskussionsrunde nach dem Stück aufkam, war die Besetzung der verschiedenen Charaktere. Mit nur vier Schauspielern war die Katakombe in ihrer Umsetzung des Werkes limitiert, jedoch muss gesagt sein, dass alle Akteure ihre Rollen sehr gut umsetzten, und besonders der Schauspieler für Nathanael in seiner Rolle aufgegangen war.
Diese Begrenzung ermöglichte den gewünschten Grad an Interpretationsfreiheit, wie diese auch in Hoffmanns Werk vorhanden ist. Dies trifft besonders auf Coppola und Coppelius zu, da eins der größten Mysterien der Lektüre die Identität dieser beiden Charaktere ist.
Das Theaterteam setzte dies schlau durch einen „Joker” um, welcher mit seiner klassischen Maske an den bekannten Bösewicht aus DC erinnert, und, natürlich, für alle Rollen eingesetzt werden konnte. Somit blieb das Mysterium um den Sandmann erhalten, und der Zuschauer wird weiter gefordert, selbst Interpretationen über dessen wahre Identität zu bilden.

Insgesamt ist der Besuch der Katakombe in Frankfurt zu empfehlen. Obwohl nicht jedem die Umsetzung zusprach, wurde angelerntes Wissen über das Werk durch die Inszenierung verfestigt.

Das Erlebnis, in ein Theater zu gehen und die Umsetzung eines Werkes hautnah zu erleben, ist eben etwas ganz anderes als im Unterricht nur darüber zu lesen.

von Pauline Reitz und Emil Oester

 

 

 

 

 

 

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